ESCAPES. FÜR ALLE DIE NICHT FLÜCHTEN KÖNNEN
Maja Osojnik, im Januar 2015: Die Komposition Escapes gehört zu einer Reihe meiner Kompositionen, die ich „The World is tired – a dystopic diary” nenne. In der Reihe setze ich mich kritisch mit der Gesellschaft und ihrer gegenwärtigen Form und letztendlich auch mit mir selbst auseinander. Es mögen meine „Erzählungen“ manchmal zu schwarzmalerisch sein und das Komponieren als ein Zufluchtsort erscheinen, den ich als eine Möglichkeit der Erfüllung von Wünschen und Sehnsüchten, die die „wirkliche“ Welt nicht leisten kann, sehe. Und doch mache ich das alles mit dem Wunsch, nicht nur durch Beobachtungen, sondern durch die aktive Beteiligung (auch wenn es immer wieder mit Scheitern verbunden ist) und Selbstreflexion die Dinge besser zu verstehen und zu Erkenntnissen zu gelangen, die dabei helfen mein Leben und das Leben meiner Mitmenschen schöner und besser zu gestalten. Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und nach einer emphatischen, verantwortlichen und nicht “gut meinenden” sondern “gut machenden” Gesellschaft.
In Escapes beschäftige ich mich mit der Flucht, in der man das Reale nicht leben, begreifen, bzw. unterstützen kann. Sie kann in diesem Stück als eine politische und örtliche, aber auch als eine persönliche Realitätsflucht gesehen werden. Die Flucht in eine Isolation – „I choose loneliness to escape this chaos” - in eine Welt, die aber von Ängsten, der Verzweiflung und letztendlich der Macht- und Aussichtslosigkeit erfüllt ist. Die Flucht, die von der Gesellschaft, dem Staat zu oft provoziert und doch immer kritisiert und verurteilt wird. Und doch ist das Stück eigentlich ein Appell das Kollektive zu suchen, die Mitmenschen einzubinden, solidarisch zu denken. Im Grunde wünschen wir uns alle einen wesentlichen Bestandteil von etwas zu bilden, einer guten Sache anzugehören, einen Namen und keine Nummer zu haben, verstanden und unersetzlich zu sein. Formal kann das Stück Escapes als Variationen von Raumklang gesehen werden, bzw. ist es eine bewegliche und konzertante Klanginstallation.
Die Inspiration für meine “Raumklang” Ensemble/ Orchester Kompositionen stammt aus der Liebe zu elektroakusticher, elektronischer Musik, der Faszination für Mehrkanal-Tonsysteme, unter Anderem Francois Bayle’s Acousmonium, das aus 80 im Raum verteilten Lautsprechern verschiedener Größen und Formen besteht und für die 1974 für die Wiedergabe von Tonbandstücken entwickelt wurde. Bayle, 1993: “another utopia, devoted to pure listening ...” Eine wichtige Rolle spielt aber auch das wunderschöne Erlebnis, als Blockflötistin im großen Orchester zu sitzen und ein Teil dieses mächtigen, direkten Klanges zu sein. All dies führte mich zu der Entwicklung der Stücke, in denen die Ensembles das Publikum umkreisen und mit dem Klang im Raum spielen: das Publikum sitzt im Orchester. Das schöne beim lebendigem Organismus Orchester ist, dass ich dieses “Mehrkanal-Tonsystem” auch räumlich in Bewegung bringen kann. In Escapes bewegt sich das Orchester langsam von hinten durch verschiedene choreographierte Figuren und Positionen nach vorne. Das Orchester ist ein sich bewegender Klangkörper und später ein fixes Surround-Sound System, in dem sich der Klang zwischen verschiedenen Punkten bewegt.
Maja Osojnik - Komposition, Konzept
Bundesmusikkapelle St. Johann in Tirol
Kapellmeister: Hermann Ortner